Auf einmal stand das SEK im Klassenzimmer
Ich betreue als Koordinatorin ein musisches Projekt an einer Grundschule. An dieser Schule haben etwa 55 Prozent der Schüler*innen einen Migrationshintergrund. Unser Projekt, Künstler*innen aus verschiedenen Sparten in die Schule zu bringen, soll einen wesentlichen Beitrag dafür leistet, die Kinder in einem wertfreien Raum miteinander agieren zu lassen. Dadurch lernen sich alle besser kennen und Kultur wird ein Bestandteil der natürlichen Kommunikation. Trotzdem gibt es allerhand Probleme, die vom Kulturenclash herrühren. Insbesondere an Schulen, die als „Brennpunkt Schulen“ bekannt sind und an denen die Kinder mit allerlei Problemen zu kämpfen haben. Als Lehrer*in sieht man sich an solchen Schulen mit ganz besonderen Herausforderungen konfrontiert. Darum soll unser Workshop „Ghettolektuell! Interkulturalität im Klassenzimmer“ Euch für den interkulturellen Schulalltag wappnen.
Lehrer*innen sind auch kulturelle Vermittler*innen
Im besten Fall greifen an Eurer späteren Schule Integration und Unterricht Hand in Hand. Im schlimmsten Fall steht plötzlich das SEK im Klassenzimmer. „Die Probleme, die an einer solchen Brennpunktschule aufkommen … Das hätte ich niemals gedacht, dass es solche Probleme hier gibt.“
Das ist unserer Workshopleiterin Sahar Saeed passiert, als sie gerade nichtsahnend ihren interkulturellen Deutschunterricht hielt. Zwei ihrer Schüler wurden in Handschellen abgeführt. Was es genau damit auf sich hat, erfahrt Ihr im Workshop. Normaler Unterricht ist da nicht mehr möglich, erzählt sie mir. Und dann muss der Deutschunterricht hintenanstehen und eine Diskussion um Ursachen, Wirkungen und Folgen geführt werden. Wenn viele Gemüter und Kulturen aufeinandertreffen, ist das nicht immer einfach. Wenn Ihr als Lehrer*innen dann ebenfalls nicht versteht, woher die Problematik eigentlich kommt, ist eine Vermittlung nahezu unmöglich.
Weltoffenheit ist eine Grundvoraussetzung
Sahar Saeed ist überzeugt, dass es super wichtig ist, sich mit den Kulturen auseinanderzusetzen, aus denen die Kinder kommen und in denen sie in den Familien leben. So entsteht ein Mischmasch von Sitten und Gebräuchen in den Schüler*innen – teils deutsch, teils international. Daher ist es umso wichtiger, die Schüler*innen individuell zu betrachten. „Im Fokus sollte schon stehen, dass alle Schüler miteinander zurechtkommen. Dazu zählt auch, die Geschichten der Klassenkameraden zu kennen – egal von wo sie kommen.“
Wie ist ihre Lebenssituation eigentlich? Leben sie in einer Unterkunft, in einer Wohnung, Großfamilie oder nicht, wie ist die allgemeine Familiensituation? Das sind Fragen, die immer eine Rolle spielen. Insbesondere dann, wenn es um Problemsituationen geht – wenn Schüler*innen, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr miteinander zurechtkommen. Dafür ist es aber angebracht, dass auch Ihr Offenheit zeigt. Seid Ihr offen für beide Seiten des Disputs, zeigt Empathie und Verständnis, wird es Euch wesentlich leichter fallen, auch die Schüler*innen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, sich in die andere Seite hineinzuversetzen. So schultIhr nicht nur Eure eigene, sondern auch die Weltoffenheit der Klasse.
Interkulturalität ist eine Chance
Sahar Saeed ist seit 2015 Lehrerin für integrierten Sprachunterricht an Schulen und hat im Zuge dessen ihr eigenes Konzept aufgebaut, um „Mit Druck erreichen wir nichts. Es ist unsere Aufgabe als Lehrer*in, den Kindern zu erklären, warum ein Mitschüler bspw. dunklere Haut hat. Kinder wissen die Ursache nicht. Aber sie verstehen es, sobald man ihnen sachlich die Welt erklärt.“
Heterogenität und Interkulturalität der Klassen unter einen Hut zu bekommen. Dass drei ihrer ehemaligen internationalen Schüler*innen, die kaum alphabetisiert waren, hoffentlich im Jahr 2020 ihr Abitur machen, zeugt vom Erfolg des Konzepts.
Auch mit Rückschlägen, wie im Fall der verhafteten Schüler, sollten wir in Interkulturalität und ihren alltäglichen Herausforderungen eine Chance sehen, den Kindern Ursachen aufzuzeigen und die Welt zu erklären. Wer weiß, wenn wir offen an sie herantreten, animieren wir sie dazu, dasselbe zu tun, und mit ein bisschen Glück, tritt ein Dominoeffekt ein.
Bis bald