“Wo befindet sich der Rassist in mir?”
Rassismus. Ein Wort – eine lange Geschichte – viele Implikationen.
Jeder von uns weiß etwas mit dem Wort Rassismus anzufangen. Einige unter uns werden wohl ebenfalls denken: „Mal wieder ein obligatorischer Kurs zum Thema … können wir das nicht endlich ad acta legen?“
Auch ich sträube mich dagegen, immer wieder und ständig daran erinnert zu werden, dass unsere Vorfahren den größten Fehler unserer und vielleicht sogar der Menschheitsgeschichte begangen haben. Mit mir hat das doch eigentlich nichts mehr zu tun. Ich würde niemals von mir behaupten, rassistisch eingestellt zu sein – manche Menschen würden mir vermutlich eher vorwerfen „zu“ offen und liberal zu sein. Und trotzdem hat mich mein Gespräch mit Rolf Knieper zu seinem Workshop „‘Und da war mir plötzlich klar, dass ich doch nicht dazugehöre …‘ – der schmale Grat zwischen Clausnitz und Auschwitz“ sehr zum Nachdenken angeregt.
m*power und die Betroffenen
Rolf Knieper arbeitet seit 2009 im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus und seit 2017 bei der Beratungseinrichtung m*power. Dort bieten er und seine Kolleg*innen Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt an. m*power ist dabei eine Anlehnung an den englischen Begriff „Empowerment“, der im Deutschen mit „Selbstermächtigung“ übersetzt werden könnte. Darum geht es nämlich maßgeblich für die Betroffenen dieser nicht nur physischen, sondern insbesondere auch psychischen Übergriffe.
Bei seiner Arbeit kann Rolf Knieper beobachten, dass es nicht die Fälle von extremistischer Gewalt sind, „Wo wir Anfeindungen verstärkt wahrnehmen, ist bei Menschen, die aufgrund ihres Äußeren einem irgendwie gearteten muslimischen Kulturkreis zugeordnet werden.“
die von eindeutigen Neonazis oder ähnlich gesinnten Gruppierungen erfolgen, sondern dass es der Alltagsrassismus ist, der stetig zunimmt. Egal, ob es sich tatsächlich um Menschen mit muslimischem Glauben handelt oder nicht, dass Menschen, die in irgendeiner Weise „muslimisch aussehen“, häufiger davon betroffen sind, ist besonders auffällig bei der Arbeit bei m*power.
Der Täter in mir
Die Betroffenen sind also mehr oder weniger klar – die Täter aber noch keineswegs. Und es fällt mir selbst schwer einzugestehen: Der Alltagsrassismus ist nicht unbedingt extremistischer Natur. Der Alltagsrassismus ist in unserer Denkweise verankert. In Deiner, in meiner. Ob wir danach handeln, ist natürlich eine andere Frage.
Der Ansatz ist aber spannend. Denn wirklich nochmal einen Schritt zurückzugehen und sich selber zu fragen: „Wo sitzen eigentlich meine eigenen rassistischen Ansichten?“, ist tendenziell etwas, das wir (ich auf jeden Fall) viel zu wenig tun. Wir alle sind nämlich letztlich davon überzeugt, keine Rassisten zu sein.
Hier kommt dann doch die Geschichte ins Spiel. Wir alle wissen: „Die Rechtsextremen dahinten – das sind Rassisten!“, und damit meinen wir auch: „Ich bin nicht extremistisch – die sind’s!“. Aber Rassismus muss nicht unbedingt extremistisch sein. Rassismus beginnt schon viel früher. Er beginnt bei Schubladendenken – bei Denken in Stereotypen: Die Franzosen sind Froschfresser; die Russen Wodkasäufer; Amerikaner sind Waffennarren und schießen wild um sich.
Ist Euch aufgefallen, dass ich gerade nur im Kollektiv gesprochen habe? „Die Franzosen“, „die Russen“, „die Amerikaner“? Ich habe aus Millionen von Menschen einen Einheitsbrei gemacht. Das ist der Ansatz des Rassismus. Egal ob extreme oder „gemäßigte“ Rassisten, sie sehen nicht mehr, dass es sich um Individuen handelt, sondern erfassen stattdessen nur noch die gesamte Menge als homogene Masse.
Das passiert immer wieder – auch mir – man pauschalisiert. Das ist mir im Gespräch mit Rolf Knieper bewusst geworden. Dass auch ich, die ich eigentlich noch nie Sympathien für rechte Ideologien verspürt habe, gerne mal von Zeit zu Zeit den Generalverdacht verhänge. Damit begehe ich und vielleicht auch Ihr jedoch den gleichen Fehler wie „die Extremen“.
Der Anfang vom Ende?
Wie schnell dieser Generalverdacht aber in Unsympathien und dann zuletzt in einen völligen Empathieverlust umschlagen kann, haben wir vor 80 Jahren gesehen. Und erschreckenderweise auch vor zwei Jahren, als ein Bus mit Geflüchteten von sogenannten “besorgten Bürgern” in Clausnitz in Empfang genommen wurde. Die Menschen haben den Bus umzingelt und die Flüchtlinge daran gehindert, einen sicheren Weg in die Flüchtlingsunterkunft zurückzulegen. Sie waren Gefangene in ihrem Bus. Auch Kinder waren unter ihnen. „Dass jemandem das Leid und Elend, die Verzweiflung eines Kindes so völlig egal ist, ist unbegreiflich. Diese komplette Verrohrung – die geistig und moralische Verwahrlosung, die sich in den Köpfen vollzogen hat, ist das Gleiche wie damals.“
Diese kommen aus einem Bürgerkriegsgebiet, haben einen weiten, anstrengenden und vermutlich sehr gefährlichen Weg zurückgelegt, wähnen sich jetzt in Sicherheit und werden mit dieser Menschenverachtung konfrontiert. Das ist ein Szenario, das ich mir nur schwer vorstellen kann und von dem ich mir wünsche, es niemals durchleiden zu müssen.
Clausnitz war und ist ein Weckruf. Dass eine zusehends rechtgesinnte Partei, die AfD, nun bei 17 Prozent der Wählerstimmen liegt (neuste Meinungsumfrage des Instituts INSA), zeigt, dass, auch wenn wir unsere Hände in Unschuld waschen, der schmale Grat zwischen Clausnitz und Ausschwitz einer ist, den wir im Auge behalten sollten. Daher ist es wichtig, sich und seine Verhaltensweisen zu reflektieren und zu diskutieren, was Rassismus eigentlich ist und wo er beginnt.
Rolf Knieper freut sich jedenfalls auf die Gelegenheit, mit Euch ins Gespräch zu kommen. Er wünscht sich für den Workshop eine anregende Diskussion über Rassismus, aber auch über die (extreme) Rechte, über Ursachen und über alles, was Euch sonst noch so beim Thema auf dem Herzen liegt.